Das Jahr 2003 - Unser erster Urlaub im Behindertenmodus.

Das neue Jahr begann, wie das alte Jahr geendet hatte. Ende Januar hatte Petrina ein paar Tage Urlaub. In dieser Zeit sollte Andreas die Physiotherapie übernehmen. Jeder Therapeut hat seine eigene Art und eigene Technik. Das ist nur eine Feststellung, keine Kritik. Nach der ersten Therapie bei Andreas sprang ich fast von der Liege direkt in den Rollstuhl und ab Richtung Heimat.

Dany hat mich von der Garage bis zur Treppe gefahren und ich machte mich auf den Weg. Ich war sprachlos, meine Schritte gingen super leicht und ich hätte wieder mal zwei Stufen auf einmal nehmen können. Während ich meinen Aufstieg fortsetzte, rief ich Dany. Dany, guck mal wie leicht das geht. Ich war total von den Socken. Auch der Weg zum Schreibtisch ging sehr leicht. Was mag das sein? Dafür muss es doch einen Grund geben.

Bei meinem nächsten Termin bei Andreas, habe ich ihm von meiner Beobachtung erzählt. Leider war das Ergebnis nach dieser Stunde war nicht ganz so gut, wie davor. Trotzdem bin ich die Treppe wieder super gegangen. Ich war überzeugt, da steckt noch jede Menge Potential in mir. Ich befand mich jetzt in einer Zwickmühle. Hat Andreas eine andere Technik wie Petrina? Was wäre, wenn mein Körper auf Andreas Arbeit mehr anspricht? Dany und ich haben eine ganze Zeit darüber diskutiert. Wäre es sinnvoll, wenn mich Andreas weiter therapieren würde? Mit Petrina war ich schon zufrieden, aber das Ergebnis von Andreas hatte mich aufgeschreckt. Was mache ich? Dany hat an diesem Wochenende Frauke angerufen und von unserem Problem erzählt. Nach langem hin und her sagte sie: Scheuen sie sich nicht mit Petrina zu sprechen, wenn Andreas eine andere Technik hat und wir eine Verbesserung verspüren, dann soll ich ruhig zu Andreas wechseln. Nachdem wir mit Petrina gesprochen hatten, waren wir sichtlich erleichtert.

Auf Philipps Geburtstag sprach mich mein Schwiegervater an, was man haben müsste, um ins Internet zu kommen. Die Frage konnte ich kurz beantworten: Einen Computer, ein Modem und eine Leitung zur Telefonsteckdose. Mit dieser Auskunft gab er sich fürs erste zufrieden.

Meine Geduld wurde belohnt

Ich habe es geschafft ein Brettchen zu konzipieren, womit man Brötchen schneiden konnte, weiche und harte Brotsorten bearbeiten konnte. Meine Zeichnungen waren fertig. Mir kam die Idee, ein Provisorium aus Holz anfertigen zu lassen, damit ich testen konnte, ob es meinen Vorstellungen nach funktionierte. Obwohl ich einige Tischler persönlich kannte, war es ein Problem, jemanden zu finden, der mir ohne Wenn und Aber, die nötigen Teile sägen würde. Eigentlich dürfte das für einen gelernten Tischler nicht schwierig sein, doch dieses Kapitel sollte schwieriger werden, als ich mir dachte. Dennoch fand ich jemanden, der mir die Teile schneiden würde. Jetzt kamen wieder meinen Einschränkungen hoch. Was ist das für eine Scheiße, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Ich war wieder geknickt, weil ich meinen rechten Arm nicht nutzen konnte. Sicher, ich wäre bestimmt nicht auf die Idee mit dem Brötchenschneider gekommen, wenn mein rechter Arm funktionierte. Es ist unverständlich, warum man sich so schwer tut, mir ein paar Kleinteile zu sägen. Ich bin gelernter Allround-Handwerker und wenn man mich in der vergangenen Zeit um Hilfe gebeten hatte, war ich sofort zur Stelle, - und aus die Maus. Da habe ich mich nicht so angepisst.

An meinem zweiten Rollstuhl hatte das Sanitätshaus Müller Betten zwischen den Handgriffen eine Querstrebe befestigt. Diese war sehr hinderlich, wenn ich am Motomed Fahrrad fuhr. Diese Querstrebe drückte die Rollstuhlkippstütze gegen meine Wirbelsäule und zusammenklappen konnte man den Rollstuhl auch nicht – tolle Wurst. Wenn wir einen Papagei gehabt hätten, hätte er die Querstrebe als Vogelstange nutzen können. Was blieb uns anders übrig, als wieder beim Sanitätshaus Müller Betten anzurufen. Ich möchte mal wissen, wem solch eine Scheiße einfällt. Das Sanitätshaus Müller Betten ist schon ein komischer Verein!

Frau Görke erfuhr vom Vorhaben meines Schwiegervaters mit Computer und Internet. Mensch Herr Arens, dass wäre ein ideales Sprechtraining für sie. Was hat der Computer mit dem Sprechtraining zu tun, wollte ich wissen. Überlegen sie mal meinte Frau Görke, ihr Schwiegervater ist doch darin ein Neuling. Sie könnten mit ihrem Wissen, ihrem Schwiegervater einiges beibringen. Da müssen sie deutlich sprechen, damit er sie versteht, ein geniales Sprechtraining. Aber langsam Frau Görke, noch sind wir nicht soweit, da werden noch einige Schwierigkeiten auftauchen, bevor das wahr wird.

Die Therapie mit Andreas funktionierte ganz gut. Er hatte eine enorme Spannweite, was das Dehnen anging. Ich sollte eigentlich zufrieden sein, doch mit ein paar Minuten in der Woche konnte man keinen Hering vom Teller ziehen. Doch ein kleiner Erfolg ließ sich verbuchen. Ich bin aus der Praxis zu Fuß bis zum Behindertenparkplatz gegangen, inklusive Treppe. Das sind ungefähr 100 Meter. Es hat zwar etwas gedauert, aber ich habe es geschafft, - und das einige Male. Schade, der zeitliche Druck war zu groß, sonst wäre ich öfters gegangen, zumindest bis zum Eingang. Das war schon ein kleines Gehtraining für mich. Ich bleibe dabei, in mir steckt jede Menge Potential. Ich verstehe nicht, warum kein Interesse daran besteht!!!

Eines Tages sagte Andreas zu mir: Heute machen wir an der Bank, im Stand einige Übungen. Ich musste mich im Stand mit meinem Oberkörper auf die Bank legen und sollte mein linkes Bein abspreizen und anheben. Leck mich am Arsch, was war das eine Plackerei, mein Bein anzuheben. Weiter, weiter rief Andreas, nicht so schlapp da hängen. Als diese Silben meine Gehörknorpel erreichten, stieg in mir die Wut hoch. Andreas peitschte mich weiter an, höher, nicht schlapp machen, höher - höher. Irgendwie fühle ich mich total verarscht und sagte ich ihm: Diese Übung habe ich in den ersten Monaten alleine auf unserem Balkon gemacht. Da habe ich mich ohne Hilfe Dehnen und Stretchen können. Eine Diskussion entstand und Andreas wollte mich nicht verstehen. Nun kam wieder der Satz, nicht nach hinten, nur nach vorne denken. Dann legte er los, ich sollte dieses und jenes machen und nicht immer nach hinter denken. Ich sollte auch mal ins Kino gehen. Kurz und knapp antwortete ich, geht nicht, wegen Klo. Andreas wurde sauer, weil ich mich dagegen wehrte. Doch, sie können ins Kino, da gibt es Hilfsmittel, die man am [...] befestigen kann und wenn man muss, der Sache freien Lauf lässt. Quasi wie ein [...]! Oh nee sagte ich, ich laufe doch nicht wie ein Elefant rum, ich bin doch nicht bescheuert. Ich bin vor meinen Schlaganfällen fast nie ins Kino gegangen, dann muss ich jetzt erst recht nicht, nur weil es einige gerne hätten. Nun wollen wir mal die Kirche im Dorf lassen.

Anscheinend funktioniere ich nicht so, wie es gewünscht wird!

Danys Eltern kamen von ihrem Kurzurlaub zurück. Während ihrer Schwärmerei lenkten sie das Gespräch auf uns. Wir sollten, ja, wir müssten unbedingt auch mal in Urlaub fahren. Mein Schwiegervater hakte sofort nach, wir sollten doch zusammen wieder mal nach Österreich fahren und können z.B. auf die Planai fahren (hier haben wir sehr viele Stunden in den Jahren, wo wir zusammen in Österreich waren, verbracht), dort könnten wir über den Panoramaweg spazieren. Und wie habt ihr euch das vorgestellt, wollte ich wissen. Ganz einfach, meinte mein Schwiegervater, wir können mit dem Auto bis ganz hochfahren und ich schiebe dich im Rollstuhl den Weg entlang. Das hört sich nicht schlecht an, sagte ich, aber was ist, wenn ich auf die Toilette muss? Zum Beispiel, wenn der Darm ruft. Für die Schnelle hätten wir die AOL Pulle. Was ist mit der Unterbringung, was ist, wenn wir essen gehen? Was ist mit den anderen bösen Fallen? Wir verbringen doch nicht den ganzen Tag auf der Planai... nee, nee, das ist unmöglich. Das hört sich alles so leicht und einfach an, - und wenn ich nicht so funktioniere, wie man es erhofft sich und erwartet, dann rauscht es im Karton und ich habe wieder mal die Arschkarte gezogen. Ich konnte meiner Schwiegermutter ansehen, dass meine Reaktion nicht wie gewünscht ausfiel. Eine Diskussion entfachte sich. Sie wetterte los, du musst auch mal an Dany denken. Es wurde mir zu dumm. Ihr habt absolut keinen Schnall von dem, was hier gebacken ist. Es sieht immer einfach aus, mich mal eben im Rollstuhl über den Panoramaweg schieben, die Betonung liegt bei „mal eben“. Aber mit was für Umstände und Schwierigkeiten das für mich und besonders Dany verbunden ist, da macht ihr euch kein Bild von. Man, da hatte ich wieder den Kaffee auf.

Manchmal stelle ich mir die Frage, was wäre, wenn ich allem zustimmen würde und mich so verhalte, wie man es wünscht. Mich würde interessieren, wie man reagieren würde, wenn es in die Hose geht, wenn man plötzlich mit den Schwierigkeiten, wo vor ich immer warne, konfrontiert würde und ich dann nicht so funktioniere? Halleluja, dann wäre das Geschrei riesengroß und man würde mir den Vorwurf machen, warum ich nicht vorher was gesagt hätte und sie blindlings ins offene Messer laufen ließ. Das Gesülze im Nachhinein, dass konnte ja keiner wissen, du hättest auch mal was sagen können, wir können nicht an alles denken, begleitet mich, seit ich Dany kenne. Und was heißt eigentlich, „du musst auch mal an Dany denken“. Wenn meine Schwiegermutter noch so viel an Dany denken will, wie ich an Dany gedacht habe und auch denke, dann hat sie noch viel zu tun. Da wird irgendwas in den Raum geschmissen, ohne die Sachlage zu kennen. Über so etwas kann ich mich tierisch aufregen, zumal ich mich in die Enge gedrängt fühle und mich nicht wehren kann.

Typisch „Pünktchen und Anton Fraktion!“

Nach diesem Ärger schien auch wieder die Sonne. Der große Moment war gekommen. Ich hatte die Teile für mein Brettchen bekommen. Mein Gott, das war eine schwere Geburt. Jetzt mussten nur noch die Teile zusammengesetzt werden. Mein Provisorium war fertig. Dany hatte Brötchen gekauft, damit stand dem Stapellauf nichts mehr im Wege. Mir wurden die Utensilien wie, Butter, Wurst, Konfitüre bereit gestellt... und los ging es. Ich hatte ein Brötchen auf den Brötchenschneider gesteckt, habe das Messer angesetzt und geschnitten. Booaah, was für ein gerader, exakter Schnitt... wie aus dem Bilderbuch. Besser hätte es eine Maschine auch nicht machen können. Die erste Hürde war genommen. Jetzt musste der Brotaufstrich darauf. Auch das ging tadellos. Der Belag, Wurst als auch Konfitüre, ließen sich problemlos auflegen. Diese Premiere war gelungen, ich habe ganz alleine ein Brötchen, mit nur einer Hand geschnitten und belegt, - ich war überglücklich. Es funktioniert!!! Der kommende Tag war ein Samstag. An diesem Morgen habe ich mit meinem Provisorium meine Brötchen selber zubereitet. Das war ein pures Glücksgefühl. Bis hierhin war ich gekommen. Wie geht es mit dem Brötchenschneider weiter?

Kann ich den Brötchenschneider wirklich in die Tat umsetzen?

Einen Abstecher nach Hilchenbach

Bei diesem Besuch hatte ich wieder die Gelegenheit, mit Dr. Loevenich zusprechen. Dabei habe ich ihm von unserem neuen Bett mit der Schaumstoffauflage im Jugendherbergsstil erzählt und das ich den Eindruck habe, dass diese Schaumstoffauflage für mich ungeeignet ist, wegen auftretender Rückenprobleme. Er hat mir geraten, es mit einer festeren Matratze zu versuchen. Zumal eine weiche Unterlage die Spastik fördern würde. Im gleichen Atemzug sagte er, dass es sehr schwer ist, von der Krankenkasse eine entsprechende Matratze bewilligt zu bekommen. Als Dr. Albacht wieder zum Hausbesuch erschien, haben wir ihn wegen einer festeren Matratze angesprochen. Bevor er darauf einging, riet er uns dringend zu einem Urlaub. Nachtigall, ick hör dir schon wieder trapsen. Diesen Wortlaut hatte ich vor einigen Tagen schon mal gehört. Wenn mich nicht alles irrt, war mein Schwiegervater kürzlich bei ihm vorstellig und sie hatten sich ausgiebig über den Urlaub unterhalten. Seltsam, seltsam, seltsam, es geben schon Zufälle. Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, Dr. Albacht mein Brettchen zu zeigen. Dr. Albacht war begeistert und meinte, dass wäre hervorragend, nur mit einer Hand ein Brötchen zu scheiden... nicht schlecht. Ja sagte ich, ich habe bestimmt schon 25 – 30 Brötchen mühelos selber zubereitet. Eine geniale Erleichterung!

Der Hausbesuch war erfolgreich, eine andere Matratze wurde beantragt. Es kam was kommen musste, ich bin zum ersten Mal auf der Treppe gefallen. Ich war auf den Weg zur ersten Etage. Meine Schritte waren recht gut, doch plötzlich stieß ich mit dem rechten Fuß gegen die Stufe. Mein Oberkörper strauchelte und fiel langsam nach vorne. Ich fiel mit der rechten Körperseite auf die Stufen. Mühselig konnte ich mich am Treppengeländer fest halten. Dany, Dany, komm’ schnell, rief ich. Sofort kam Dany die Treppe herunter geeilt. Dany wurde hektisch und wollte mich hinstellen. Vor lauter Aufregung schoss die Spastik ein. Dany wurde zunehmend hektischer und ich drohte nach unten zu rutschen. Ich sagte, langsam, lass uns vorsichtig herangehen. Langsam stieg die Wut in mir auf, warum mir das passiert war. Mit Müh und Not stand ich wieder. Ich sagte sofort zu Dany, ich habe mir nicht wehgetan, ich bin in Zeitlupe gefallen. Mit leicht zitternden Knien bin ich hoch in die Wohnung gegangen. Dany hat mich sofort inspiziert. Es waren keine Auffälligkeiten zusehen. Am nächsten Morgen war ich an der rechten Hüfte grün und blau. Zur Sicherheit rief Dany Dr. Albacht, wegen der Hämatome. Er hat mich ebenfalls begutachtet, und konnte Gott sei Dank nichts feststellen.

Frau Wiedenhoff, aus dem Therapiezentrum, welche im Servicebereich tätig war, besaß eine Ferienwohnung auf der Insel Fehmarn. Diese war nach ihren Angaben ebenerdig. Wir haben uns nähere Informationen eingeholt und haben beschlossen, diese Ferienwohnung für eine Woche über unseren Hochzeitstag zu mieten.

Die Zeit war wieder da, der medizinische Dienst hat sich angemeldet, was nichts anderes heißt wie, ein Verhör findet statt. Jedes Mal dieselbe Leier, was Dany alles machen würde, wie lange sie dafür braucht, und, und, und. Ehrlich gesagt, wir kommen uns dermaßen diskriminiert vor. Es fehlt nicht viel, dann muss ich mich für meine Behinderung entschuldigen. Mir kommt das Ganze so vor, als wären die Herrschaften abgerichtet, die Pflegestufe herunter zu zwingen, es wird um Sekunden in der Leistung gefeilscht. Jawohl, ihr habt richtig gelesen, um Sekunden wird gefeilscht. Leider können wir nicht mit einem zufriedenstellenden Ergebnis dienen. Ich wäre froh, mit dieser Scheiße nichts mehr zu tun haben und würde lieber arbeiten gehen, von mir aus auch 12 Stunden täglich im Steinbruch, als statt ständig diese blöden Sprüche zu schlucken. Es ist zum Kotzen.

Frauke kam auf uns zu und sagte, dass sie mit der Ergo nach Wipperfürth gehen wird und dort die Leitung der Ergo übernimmt. Sie überlässt es uns,

Es war keine Frage, natürlich kommen wir mit. Mit Frauke verstanden wir uns blenden und sie kannte meine Probleme und wusste, wo sie ansetzen musste.

Unser erster Urlaub im Behindertenmodus

Der Oktober war da und unser erster Urlaub stand bevor. Ich wurde ein wenig skeptisch. Wenn ich ehrlich bin, hat sich mein Zustand etwas verschlechtert, damit meine ich mein Gang Bild und mein körperlicher Zustand. Wenn ich die zwei - drei Jahre zurück denke, war ich viel beweglicher... und mein Gang Bild? Es hatte sich wirklich was verändert. Hatte ich doch das richtige Gefühl gehabt, als ich von meiner letzten Therapiestunde von Jutta nach Hause fuhr? Vielleicht tut uns der Urlaub gut, andere Landschaft, anderes Klima, mal sehen. Wie wird das wohl werden? Wie kommen wir beide zurecht?

Dany hatte Geld besorgt, für uns und für Philipp eingekauft. Am Nachmittag hat sie unsere Sachen zusammen gepackt. Währenddessen habe ich am Computer eine Checkliste für die wichtigsten Dinge erstellt, Medikamente, Blutdruckmessgerät, AOL Pulle etc. Mir war es verdammt komisch, als Dany die Sachen ins Auto brachte. Es tut sehr weh, wenn man das mit ansehen muss und nicht helfen kann, absolut nicht.

Am nächsten Morgen haben wir uns wie jeden Tag fertig gemacht. Bloß nicht zu viel trinken dachte ich, schließlich sind wir fast 6 Stunden unterwegs. Zwar hatte ich mir eine Karte für Autobahnraststätten besorgt, in der Toiletten für Behinderte angegeben sind. Alles war fertig, es konnte losgehen, unsere erste Urlaubsreise mit meiner Behinderung begann. Ich habe mir meine Karte mit den Autobahn-Raststätten griffbereit gelegt. Bei jedem Blick auf die Karte habe ich meine Blase gecheckt. Kurz hinter Hagen verspürte ich langsam einen leichten Harndrang. Ein Blick auf meine Karte und ich bat Dany, die nächste Raststätte anzufahren. Unsere erste Begegnung mit einer öffentlichen Behindertentoilette. Den Schlüssel in der Tankstelle geholt und dann konnten wir in die Toilette. Anfangs dachte ich, mein Gott, ziemlich umständlich. Als ich später die Toilette sah, wusste ich warum, die Toilette war Tipp Top in Ordnung. Unser erster Boxenstopp hat reibungslos funktioniert. Einige Kilometer weiter sagte ich zu Dany, ich glaube, es ist richtig, wenn ich dir früh genug Bescheid sage, damit wir rechtzeitig halten können. Stell’ dir vor, wir kommen in einen Stau, dann bin ich im Arsch gekniffen, zur Not können wir die AOL Pulle nehmen.

Ach du Scheiße sagte Dany, die haben wir vergessen. Im Nu war ich zu einem Eisklotz erstarrt. Was sagte ich, wir haben die AOL Pulle vergessen? Panik war angesagt. Was machen wir jetzt? Keine AOL Pulle, undenkbar. Nach ein paar Kilometer haben wir uns wieder etwas beruhigt. Trotzdem lief in meinen Gedanken ein Endlosband mit der Aufschrift: Keine AOL Pulle - und nun? Das wird ein Spaß werden!!!

Nachdem wir die Ferienwohnung bezogen hatten, wurde erst mal ein Gefäß gesucht, was in Notfällen die AOL Pulle ersetzen sollte. Wir haben einen kleinen Eimer gefunden, der aber keine ideale Lösung war. Es war Abend und wir wollten Essen gehen. Jetzt standen wir vor der nächsten Bewährungsprobe, ein geeignetes Lokal zu finden, was barrierefrei war. Unsere Suche hat sich gelohnt, direkt am Hafen haben wir ein Restaurant gefunden, was barrierefrei war. Es ist wahr geworden, Dany und ich sind zum ersten Mal in Ferien und sitzen in einem Restaurant. Aber, mein Hintergedanke bremste meine Euphorie ab. Es ist zwar schön, aber nicht so, wie in den Jahren vor meinen Schlaganfall. Auch wenn man gezwungen ist, trotz den Einschränkungen die Sache positiv zu sehen, bleibt immer ein arg fader Beigeschmack hängen. In meinen Hintergedanken tauchte immer die Frage auf, was ist, wenn ich zur Toilette muss? Kommen wir dort zurecht? Mir war bei diesem Gedanken sehr unwohl, zumal wir keine AOL Pulle bei uns hatten.

Als wir wieder zurück in der Ferienwohnung waren, haben wir es uns gemütlich gemacht. Die Einrichtung war einigermaßen auf mich zugeschnitten, nicht direkt behindertengerecht, aber, es war schon OK. Ich konnte wunderbar in einem Sessel sitzen und mit Danys Hilfe kam ich mühelos in den Stand. Unsere erste Nacht in der Fremde stand bevor. Das Bett, unser nächstes Problem. Der Rollstuhl passt nicht an die Seite, wo ich immer liege. Was nun? Schlafe ich auf der anderen Seite, habe ich Probleme mit der Lagerung. Kurzer Hand haben wir uns entschlossen, uns mit dem Kopf ans Fußende zu legen. Das war zwar komisch, aber es war hilfreich und die Nacht haben wir problemlos überstanden.

Während Dany am anderen Morgen Brötchen holte, habe ich mich mit dem Handy bewaffnet auf die Toilette gesetzt. Egal welcher Situation ich ausgesetzt war, mein ständiger Begleiter war "die Angst." Langsam hatten wir ein Konzept gefunden, wie wir mit dieser Situation klar kamen. Nach dem Frühstück haben wir uns auf die Socken gemacht, um die Insel zu erforschen. Wir haben uns auch eine Saftflasche gekauft, die eine breite Öffnung hatte und mit einem Schraubverschluss versehen war. Diese sollte als Ersatz für die AOL Pulle diesen. Ich hätte mir nie im Leben träumen lassen, dass ich auf so ein Hilfsmittel angewiesen sein würde. Tja, wenn sich die Blase füllt, dann will die Spastik mitmischen und dann ist Holland in Not. Ich kann nicht wie in früheren Jahren mal schnell an den Baum springen, wenn Eile geboten ist. Dieser Zug ist abgefahren.

Unsere Tage gingen sehr schnell um und wir mussten wieder nach Hause. Auf dem Rückweg habe ich mein Fazit unseres ersten Urlaubs im Behindertenmodus gezogen. Die Unterbringung in der Ferienwohnung, obwohl diese nicht gerade behindertengerecht war, war zufriedenstellend. Die Insel Fehmarn war für mich, mit meinen eingeschränkten Möglichkeiten ungeeignet. Wenn ich gesund gewesen wäre, oder wäre mobiler gewesen, würde ich ein positiveres Urteil abgeben. Dany hatte große Mühe, mich mit dem Rollstuhl zu kutschieren, da die Bordsteine ziemlich hoch waren und einige Straßen waren mit Kopfsteinpflaster versehen. Große Möglichkeiten waren für mich nicht vorhanden. Bei einem Besuch im Meereszentrum in Burg auf Fehmarn stellten wir unseren Wagen auf den Behindertenparkplatz ab. Beim Aussteigen stießen wir wieder auf ein Hindernis. Die Behindertenparkplätze waren auf einem Untergrund mit Schottersteine angelegt. Der Transfer vom Auto in den Rollstuhl war somit sehr schwierig, - keine Spur von Behindertenfreundlichkeit. Aber durch unsere Flexibilität und unser Improvisationsvermögen gelangt es uns immer, auftauchende Schwierigkeiten zu meistern. Auch wenn es manchmal ziemlich schwierig war, haben wir die Tage genossen.

Fehmarn war nicht schlecht, doch Ostfriesland gefällt mir besser.

Kaum waren wir aus dem Urlaub zurück, erreichte uns eine Hiobsbotschaft. Hans-Martin Borgmann, ein sehr guter Nachbar, war schwer erkrankt. Diese Meldung hat uns sehr getroffen und unsere Stimmung war gedrückt. Die Therapien wurden wieder fortgesetzt und ich hatte Frauke von meinem Brettchen erzählt. Frauke konnte sich nichts darunter vorstellen und bat mich, ihr das Brettchen mal vorzuführen. Gesagt, getan, beim nächsten Termin mit ihr habe ich das Brettchen, samt Brötchen mitgenommen und ihr vorgeführt. Sie war baff. Man sagte sie, das ist ja genial.

Jetzt wird’s militärisch

Plötzlich tauchte der Begriff „Bewegungsbad“ auf. Schnell stellte sich heraus, im Johannis Stift in Hückeswagen gibt es ein „Bewegungsbad“. Dany hatte einen Termin gemacht, eine Verordnung besorgt und somit hatte ich am 11.11. mein erstes Bewegungsbad bei Frau Gläser, die Chefin dieser Physioabteilung im Johannis Stift. Bei meinem ersten Aufeinandertreffen mit Frau Gläser wurde unsere Freundschaft besiegelt. Als mich Dany vom Rollstuhl auf den Lift transferieren wollte, schnellte Frau Gläser dazwischen. Als hätte man bei mir den Hebel umgelegt, es ging nichts mehr, die Spastik verweigerte jegliche Art Bewegungen meines Körpers. Während ich stocksteif vor meinen Rollstuhl stand, zerrte Frau Gläser an mir herum. Ich stand da, wie angewurzelt. Es war mir nicht möglich, Frau Gläser davon zu überzeugen, dass Dany und ich ein eingespieltes Team sind und wissen, wie es am besten geht, ständig fuhr Frau Gläser mir über den Mund. Innerlich stieg bei mir die Wut auf und die Sympathien zu Frau Gläser schmolzen wie ein Eisklotz in der Sonne dahin. Das ist typisch dachte ich, die halten einen alle für blöd und ich hatte Wut und Hass auf mich, weil ich mich nicht wehren konnte. Glücklicherweise haben wir es geschafft, ich war auf dem Weg ins Becken.

Dany war auch mit ins Becken gegangen, um mir zur Seite zu stehen. Als sie mich im Becken in Empfang nahm, konnte sie an meinem Gesichtsausdruck ansehen, dass mir das absolut nicht gepasst hat, wie Frau Gläser mit mir umgegangen ist. Mit großer Wut im Bauch begann das „Wasserballett“. Frau Gläser stand am Beckenrand und wollte einiges über mich wissen und holte sich bei Dany ihre Informationen. Ich wollte mich in diese Berichterstattung einklinken und ihr aus meiner Sicht die wichtigsten Details erzählen. Von wegen, sie hat mich nicht zu Wort kommen lassen. Endlich konnte ich was sagen, aber nichts da, dass interessierte sie überhaupt nicht. Verdammt noch mal, bin ich hier der Arsch? Man, was hatte ich einen Hals. Was bildet sich die alte Schreckschraube eigentlich ein?

Die Show konnte beginnen

Frau Gläser gab mir den Marschbefehl und ich bewegte mich langsam am Rand des Beckens entlang. Plötzlich drang mit mächtiger Phonzahl ein Befehl ins Becken: Herrrr Arrens, den Po zusammenkneifen, ihr amputiertes Bein anheben und mit der Ferse aufsetzen. dachte ich, was ist das? Ich habe ein amputiertes Bein, davon weiß ich ja nix. Komisch, das habe ich ja noch gar nicht bemerkt, habe ich etwa Redbull gesoffen? Während ich mich mit meinem amputierten Bein auseinander gesetzt habe, wurden meine Gehörknorpel wieder heftig beschallt. Herrr Arrrens, biettä mit der Ferse aufsetzen, sonst funktioniert das nicht. Ich stoppte meine Wanderung, drehte mich zu Frau Gläser und sagte: Haben sie schon mal mit der Ferse eines amputierten Bein ausgesetzt? Ach, Herr Arens, entschuldigen Sie bitte, aber von Schlaganfällen habe ich nicht so die Ahnung. Da konnte ich nur zustimmen. Ich habe mich gefragt, wofür ist sie Physiotherapeutin??? Oh man, was wird das eine Freude werden. Nach einer kurzen Atempause wurde die Phonzahl wieder erhöht und weiter im Text. Ich hatte nicht das geringste Gefühl gehabt, in einem Bewegungsbad zu sein, mir kam es mehr vor, als wäre ich bei der Marine und würde zum Kampfschwimmer ausgebildet.

Ich marschierte weiter durchs Becken, unter den Kommandos von Frau Gläser. Ein paar Runden später traf der nächste Befehl meine Gehörknorpel – Stopp, bleiben Sie hier stehen und drehen Sie sich zum Beckenrand. Dort musste ich wie ein Hampelmann an der Stange turnen. Ich konnte es mir nicht verkneifen und habe zur Frau Gläser gesagt: Donnerwetter Frau Gläser, sie haben aber eine tolle militärische Ausbildung genossen. Man munkelt, sie seien hier der Hauptfeldwebel. Somit bekam unsere Freundschaft den letzten Schliff. Nach ein paar Übungen durfte ich endlich das Becken verlassen. Dany half mir wieder auf die Liege, Frau Gläser bediente den Lift und beförderte den Kampfschwimmer Peter Arens in die Höhe.

Als sie mir von der Liege helfen wollte, habe ich dankend abgelehnt. Meine Frau hilft mir, gab ich ihr zu verstehen, wir sind da ein eingespieltes Team. Wie erwartet kam der Kommentar: Ich bin ihnen wohl nicht gut genug. Eine Richtigstellung war mir nicht möglich, da ich gegen diese durchschlagende Stimme keine Chance.

Ich wollte den Bogen nicht überspannen, am liebsten hätte ich mich, wie beim Militär, mit Gruß – Meldung – Gruß abgemeldet: Frau Hauptfeldwebel Gläser, Kampfschwimmer Peter Arens meldet sich mit Ehefrau Daniela in die Umkleidekabine ab.

Beim nächsten Bewegungsbad lernte ich Peter Weinzettel kennen. Er war in dieser Praxis Physiotherapeut und leitet an diesem Tag das Bewegungsbad. Er hat mich vom Beckenrand betreut. Mit einer göttlichen Ruhe wurde diese Therapiestunde abgehalten, das war wie Urlaub. Aber... der Hauptfeldwebel war nicht weit weg. In den nächsten Stunden war Schluss mit lustig. Doch kurz darauf kam die Erlösung, der Lift war kaputt und ich hatte Ruhe. Das Bewegungsbad wurde bis aufs weitere ausgesetzt.

Kampfschwimmer Peter Arens... still gestanden... amputiertes Bein verabschiedet sich in Urlaub - rühr dich,

Kölle alaaf.

Das Jahr geht zu Ende

Der Dezember klopfte an die Türe und die Adventszeit begann. In der Therapie läuft alles wie gehabt, es ist als würde eine Endlosschallplatte abgespielt. Mein Bewegungsapparat stimmte mich unzufrieden. Mein Gang Bild ist nicht besser, im Gegenteil, es ist schlechter geworden. Ich machte mir darüber Gedanken. Liegt es vielleicht doch daran, weil nicht ausreichend und gezielt gedehnt wurde? Nur den Bärenstand üben, damit kann man keinen Hering vom Teller ziehen. Warten wir das nächste Jahr ab, meine Ziele und meine Motivation hatte ich nach wie vor. Frauke hatte mittlerweile eine Praktikantin in der Ergo gehabt. Zwischendurch durfte sie bei mir einige ergotherapeutische Griffe anwenden.

Die Vorweihnachtszeit wurde sehr getrübt. Der Zustand von Hans-Martin hatte sich ziemlich verschlechtert. Dies machte mir arg zu schaffen. Hans-Martin ist einer der wenigsten, der von Anfang an mit mir klare Verhältnisse geschaffen hat, was die Verständigung anging und auch ehrlich mit mir umgegangen ist. Richtige Weihnachtsfreude hatte ich seit meinen Schlaganfällen überhaupt keine mehr. Weihnachten und mein Geburtstag waren für mich ein rotes Tuch.

Am Heiligabend nahm Dany den Telefonhörer, wählte eine Rufnummer und drückte auf mithören. Am anderen Ende meldete sich Hans-Martin. Seine Stimme sagte uns, was los ist. Dany sagte sofort, Hans-Martin, es wäre ein Hohn, wenn ich dir jetzt frohe Weihnachten wünschen würde. Mit schwacher Stimme antworte Hans-Martin: Tja Dany, was willst du machen. Während Dany mit ihm sprach, zeigte sie auf den Hörer und signalisierte, ob ich mit Hans-Martin sprechen wollte. Ich hatte einen dicken Kloß im Hals und das Wasser stand mir in den Augen. Mir war in diesem Moment, als hätte man mir mein Herz raus gerissen. Zum Glück war der Computer noch an und ich habe Dany ein paar Sätze aufgeschrieben, die sie Hans-Martin mitteilen sollte. Man, wie hasse ich solche Situationen und gerade am Heiligabend – seid meinen Schlaganfällen bin ich sehr empfindlich geworden. Meine Gefühle lassen sich nicht mehr so einfach steuern und ich bin nicht mehr Herr über mich. Auf jeden Fall hatte ich wieder innerlich das Gefühl, als würde man mein Herz wie ein Schrubb Tuch kräftig auswringen. Meine Mutter liegt mit einer starken Grippe im Bett, Hans-Martin ist beschissen dran, ich kann nichts machen – frohe Weihnachten.

Zwischen Weihnachten und Neujahr bekamen wir einen Brief von Dr. Albacht. Er teilte uns mit, dass er im Februar nächsten Jahres seine Praxis beendet. Das Jahr endete beschissen, hoffentlich wird es im nächsten Jahr besser.

Neues Jahr, was wirst du mir bringen?

Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben,
sondern es ist viel Zeit,
die wir nicht nutzen.