Es sollte alles anders kommen…

Die folgenden drei Tage entscheiden über meine Zukunft...

Als ich am Samstagmorgen aufstand, war es draußen ziemlich diesig und es war leicht am Regnen. Ein Wetter, was aufs Gemüt schlägt. Es war ziemlich langweilig an diesem Vormittag. Dany hatte meinen Laptop am Mittwoch mitgenommen, da sie einiges zu schreiben hatte. Nachdem Mittag kamen Dany und die Kinder zu Besuch, Cafeteria, Wäsche austauschen, wichtige Dinge besprechen und einfach nur beisammen sein. Am Nachmittag spielte jemand in der Cafeteria Klavier und es war angenehm, diesem Spiel zu zuhören. Auch der Arzt, der an diesem Samstag Wochenenddienst hatte, lauschte dem Klavierspieler zu.

Der Samstag verging, trotz des trüben und ungemütlichen Wetters, viel zu schnell. Wie an jeden Besuchstag sind Dany und die Kinder kurz vor 18 Uhr nach Hause gefahren. Ich bin mit bis an den Eingang, um sie zu verabschieden und anschließend in den Speisesaal, zum Abendbrot. Wie jeden Abend wurde vorher im Stationszimmer mein Blutdruck gemessen. Hui, der war ja richtig hoch. Pfleger Alexander meinte, wenn ich vom Abendbrot zurückkommen würde, sollte ich den Blutdruck noch mal messen lassen. Am Eingang bin ich stehen geblieben und habe gewartet, bis sie abgefahren sind. Ich fühlte mich dermaßen schwach auf den Beinen, - so richtig abgeschossen. Beunruhigt hat mich das nicht, schließlich hatte ich eine anstrengende Woche hinter mir. Nach dem Abendbrot wollte ich sofort aufs Zimmer, mich ins Bett legen und Fernsehen schauen. Am anderen Tag hatte mein Vater seinen 75 jährigen Geburtstag und wir wollen dann zusammen in der Cafeteria etwas Geburtstag feiern, - da muss ich wieder fit sein. Viel Hunger hatte ich nicht und habe mich auch schnell wieder auf den Weg zur Station gemacht.

Als ich vom Speisesaal den Weg hoch in die Halle ging, verspürte ich einen leichten Rechtsdrall. Man dachte ich, was bin ich platt. Der Weg zur Station war recht mühselig und schwer. Im Stationszimmer habe ich meinen Blutdruck noch mal messen lassen. Verdammt, er war immer noch zu hoch. Ich bat Alexander, den diensthabenden Arzt zu unterrichten. Dieser veranlasste, mir eine blutdrucksenkende Tablette zu geben, die ich im Stationszimmer sofort einnahm. Ich fühlte mich richtig schlapp. Als ich mich auf den Weg in mein Zimmer machen wollte, ließen sich die Beine sehr schwer bewegen und meine Kräfte schwanden. Vielleicht war ich wirklich von der vergangenen Woche erschöpft. Plötzlich wurde ich unsicher und nervös. Ich bat Alexander, mich auf mein Zimmer zu begleiten, und mir beim Auskleiden zu helfen. Er half mir noch auf die Toilette und zog mir den Schlafanzug an.

Meine innerliche Unruhe nahm zu

Ich machte mir auf einmal große Sorgen und verlangte nach dem Arzt. Irgendwie war mir das auf einmal nicht geheuer. Erschöpft und platt zu sein, sah für mich anders aus. Es war gerade 20 Uhr und ich versuchte Dany anzurufen, denn sie müsste eigentlich schon zu Hause sein. Tatsächlich, sie waren gerade zu Türe rein. Dany sagte ich, mir geht es beschissen und habe ihr erzählt, was seit dem Abschied passiert war. Sie meinte, vielleicht ist es wirklich ein Schwächezustand, auf Grund der vergangenen Woche. Ich war ziemlich nervös und unruhig. Dany bemühte sich, mich zu beruhigen und zu trösten. Ich versprach ihr, wenn der Arzt bei mir war, sie sofort wieder anzurufen.

Nach einer Weile, kam der Arzt und ich habe ihm erzählt, was sich in den letzten 3 Stunden abgespielt hat. Er untersuchte mich kurz, und sagte, sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, es ist nichts Besonderes. Mir jedenfalls schien es nicht so und hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Ich rief Dany wieder an und berichtete ihr, was der Arzt gesagt hatte. Dany meinte, vielleicht ist es wirklich eine Erschöpfung. Glaube ich nicht, sagte ich zu ihr, dann wäre ich innerlich nicht so unruhig. Schatz, sagte ich zu Dany, ich habe Angst, große Angst. Soll ich wieder rüber kommen, antwortete Dany? Nein, dass brauchst du nicht, aber ich mache dir einen Vorschlag, lass uns die Nacht drüber schlafen und morgenfrüh rufe ich dich an und dann sehen wir weiter. Vielleicht sieht dann wieder alles anders aus. Mein Zustand war beschissen und wenn ich in der Nacht auf Toilette musste, benötigte ich Hilfe.

Am nächsten Morgen telefonierte ich mit Dany und berichtete ihr über meinen beschissenen Zustand. Ich bat sie alleine zukommen, – ich würde Vater telefonisch zum Geburtstag gratulieren. Gesagt, getan, 2 Stunden später stand Dany auf der Matte. Ich lag total geschwächt im Bett. Sie war so erschrocken über mich, sodass sie sofort den Arzt verlangte, um über meinen Zustand zusprechen. Es war Sonntag und es hatte ein anderer Arzt Dienst. Es dauerte eine Weile, bis er kam. Er machte es sich in einem Sessel bequem, schlug die Beine übereinander und während er mit seinem Kugelschreiber spielte, erklärte er uns, dass wir uns nicht zu beunruhigen brauchen, dass wäre normal. Dany meinte, der kalte Schweiß im Nacken meines Mannes ist aber nicht normal. Der Arzt blieb bei seiner Einschätzung, wir bräuchten uns nicht zu beunruhigen, es wäre normal.

Ich habe den ganzen Tag im Bett gelegen und geschlafen, während Dany die ganze Zeit an meinem Bett saß. Am Abend musste sie leider wieder nach Hause. Ich bat Dany, meinen Laptop wieder mitzunehmen, da ich ihn in den nächsten Tagen nicht brauche. Als sie fort war, wurde ich wieder unruhig und bekam höllische Angst – das ungute Gefühl war plötzlich wieder da. Was ist, wenn die beiden Ärzte sich geirrt haben? Quatsch, dachte ich, das sind doch Fachärzte und ich bin in einer neurologischen Fachklinik, die müssten doch merken und auch sehen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Aber mein ungutes Gefühl hatte sich richtig in mir eingebrannt. Als Dany zu Hause eingetroffen war, hat sie zurück gemeldet. Ich habe am Telefon geweint und habe noch mal gesagt, dass ich wahnsinnige Angst und ein ungutes Gefühl habe. Dany versuchte mich zu trösten und sprach mir Mut zu.

Die Stunde der Wahrheit rückte immer näher

Montagmorgen kam Dr. Loevenich und hat nach dem Rechten geschaut. Kurz darauf teilte man mir mit, dass ich nach Siegen ins Krankenhaus verlegt werden sollte. Die Pfleger packten meine Sachen und nach dem Mittag, sollte der Krankenwagen kommen. Na ja dachte ich, wenn das alles so lange dauert, dann kann es nicht so schlimm sein. Im Siegener Krankenhaus kam ich sofort in die Notaufnahme und es dauerte wieder, bis ich dran war. Nach einer Weile wurde ich zum CT gebracht. Hoffentlich ist es bloß nichts Ernstes, dachte ich, und meine Angst wurde immer größer.

Während ich in Siegen war, versuchte sich Dany nach mir zu erkundigen. Fehlanzeige, man gab ihr keine Auskunft, niemand wusste Bescheid. Kurzerhand rief sie auf der C1 an, dort versprach man ihr, sich nach mir zu erkundigen und sie auf dem Laufenden zu halten.

Es dauerte eine Weile, bis ich dran war. Man schob mich ins CT und die Zeit wurde unendlich lang. Endlich war ich fertig. Ich hörte nur, wie man am Tuscheln war. Das war kein gutes Zeichen. Danach wurde ich wieder auf den Gang geschoben und die Zeit sich zog wie Gummi – die Spannung stieg ins Unermessliche. Nach einer langen Wartezeit schob man mich in ein Zimmer und um 17:50 Uhr teilte man mir einen zweiten Schlaganfall (Ponsinfarkt) mit. Also hatten sich die beiden Ärzte gewaltig geirrt, eine gravierende Fehldiagnose und ich hatte die Scheiße wieder am Qualmen.

Was in diesem Moment in mir vorging, kann ich mit Worten nicht beschreiben. Es sackte alles unter mir weg. Der Arzt fragte: Möchten sie hier bleiben oder möchten sie wieder nach Hilchenbach? Wieso, sagte ich? Sie bekommen hier nur die Infusion, aber das kann man auch in Hilchenbach machen. OK, sagte ich, dann möchte ich wieder nach Hilchenbach.

Zurück nach Hilchenbach

Der Krankenwagen wurde angefordert und er brachte mich wieder zurück nach Hilchenbach. Es regnete stark und der Krankenwagen schlängelte sich durch den Berufsverkehr. Währenddessen schossen mir die Gedanken durch den Kopf. Das ich mit dem ersten Schlaganfall für irgendetwas bestraft worden bin – OK, aber für den zweiten? Mir fiel mein Konfirmationsspruch ein: „Gott ist treu“. Diesen sah ich jetzt mit anderen Augen. Da habe ich, als ich ab dem 7. Dezember in Hilchenbach war, im Akkord gebetet und hatte davon schon Hornhaut an den Händen bekommen. Aber dieser Aufwand hat anscheinend nichts genutzt. Auf jeden Fall hat sich in diesem Augenblick mein Glaube drastisch geändert. Der Glaube war für mich ab da nur noch Hokuspokus. Ich glaube nur noch an mich, meine Frau Daniela, meine Kinder Nadine und Philipp und an meine Eltern – alles andere steht nicht mehr zur Debatte.

Als ich in Hilchenbach ankam und sich die Heckklappe des Krankentransporters öffnete, stand mein Freund, der Ziwi Falko da und nahm mich in Empfang. Er sagte zu mir: Herr Arens, sie kommen wieder zu uns, auf die C1, dort ist schon alles vorbereitet. Das war der einzige Lichtblick an diesem Tag. Auf der Station waren alle sehr entsetzt und versuchten mich zu trösten, wo es nur ging. Ich kannte das ganze Team der C1 schon vom 7. Dezember an und hatte ihr Entgegenkommen, ihre sehr nette Art mir gegenüber richtig schätzen gelernt, aber was jetzt an Hilfsbereitschaft und Zuwendung auf mich zu kam, sprengt alle Vorstellungen.

Es hat mich wieder zurück geschmissen, - und zwar gewaltig

Die nützlichsten Erfahrungen, die man macht,
sind die schlechtesten.
Thornton Wilder