Das Jahr 2000 kann beginnen, ich bin bereit

Am Neujahrstag kamen Nadine, Philipp und meine Eltern. Wie immer haben wir uns bei Kaffee und Kuchen in der Cafeteria aufgehalten. Am kommenden Sonntag haben Dany und ich einen richtig faulen Tag gemacht. Viel zu schnell verging die Woche, in der Dany bei mir war. Am Mittwoch musste Dany wieder nach Hause und an diesem Tag, sollte meine PEG (Magensonde) entfernt werden. An diesem Morgen wurde ich von Frank fertig gemacht. Er sagte mir, wir haben ein anderes Zimmer für sie, ein Einzelzimmer, da können sie heute einziehen. Prima sagte ich, ich nehme dieses Angebot an.

Nach dem Frühstück brachte mich ein Wagen ins nahegelegene Kreiskrankenhaus. Hoffentlich geht der Eingriff genauso problemlos, wie in Remscheid, dachte ich. Die Zeit im Krankenhaus zog sich wie Kaugummi und ich wurde ein bisschen unruhig. Das war mein erster Ausflug ohne Katheder und ich fühlte mich irgendwie unsicher. Endlich wurde ich in den Behandlungsraum. Die Atmosphäre in diesem Raum war nicht so berauschend und die Geräte waren nicht die Neuesten. Eine Schwester rückte ran und sagte: Machen sie bitte mal den Mund auf, damit ich ihnen ihre Zahnprothese entnehmen und etwas in den Rachen sprühen kann. Ah, dass kannte ich aus Remscheid, - also keine Gefahr.

Es dauerte nur einen kleinen Augenblick und ich hatte dieses Mundstück im Mund. So, beißen sie so auf diesen Ring, sagte der Arzt, dass er nicht verrutschen kann. So, sagte der Arzt, ich beginne und führe den Schlauch ein, es kann ein bisschen unangenehm werden. Er stocherte mit dem Schlauch in meinem Magen und schwuppdiwupp, die Vorstellung war zu Ende. Schnell noch ein Pflaster auf die Wunde und ich konnte die Pritsche wieder verlassen. Bitte in den nächsten 24 Stunden nichts essen und nichts trinken. Oh dachte ich, böse Falle, - egal, Hauptsache ich bin von allen künstlichen Zuleitungen befreit – ein schönes Gefühl. In der Klinik zurück, war Dany schon mit dem Umzug fertig und das Telefon war auch umgemeldet.

Schade, die schöne Zeit war vorbei!!!

Die Woche war vorbei und Dany sollte heute Nachmittag von Nadine und Philipp wieder abgeholt werden. Es hatte uns beiden sehr gut getan, ein paar Tage zusammen zu verbringen. Bis die Kinder kamen, haben wir noch einige Details besprochen. Unsere Zuversicht, unsere Moral hatte sich zum Besten gedreht. Uns ist ein großer Stein vom Herzen gefallen und wir konnten uneingeschränkt in die Zukunft blicken. Trotzdem viel uns der Abschied schwer, sehr schwer. Dieses Schicksal hat uns intensiver zusammen geschweißt. Wir freuten uns auf den nächsten Monat.

In der Therapie ging es jetzt richtig zur Sache. Alles was ich anfasste gelang mir. Die Ärzte, das Pflegepersonal, die Therapeuten und auch ich, waren mit mir sehr zufrieden. Ich war richtig froh und hoch motiviert über diese enormen Fortschritte. Immer wieder musste ich an Danys Worte denken „nächsten Monat kommst du nach Hause“. Auf meinem Therapieplan stand jetzt auch Büro- und Computertraining. Nicht schlecht dachte ich, zumal Dany mir meinen Laptop hier gelassen hat. Die Abende waren nicht mehr so langweilig und ich konnte meine Freizeit jetzt meinem Laptop widmen.

Ich hatte noch einen Termin beim Augenarzt, - Kontrolle wegen der Doppelbilder. Alles hatte sich wieder normalisiert. Wenn ich ehrlich bin, den Rückgang der Doppelbilder habe ich gar nicht so richtig wahrgenommen. Über diese Diagnose hatte ich mich sehr gefreut. An diesem Nachmittag hatte ich nur noch KG und anschließend bei Herrn Busch einen Termin zur Lymphdrainage. Nach der KG brauchte ich nur in den Aufzug an der Cafeteria und eine Etage tiefer in die physikalische Abteilung zufahren. Die beiden Termine lagen dicht zusammen.

Ich fuhr in den Aufzug und drückte den Knopf für die physikalische Abteilung. Als die Türe zuging, erspähte ich eine Frau in der Cafeteria. Oh dachte ich, die hat aber sehr viel Ähnlichkeit mit Frau Liesendahl. Liesendahls kannten wir schon lange und sie belieferten uns immer mit Eiern. Herr Liesendahl war für Philipp der „Eier Opa.“

Während Herr Busch bei mir die Lymphdrainage durchführte, klopfte es an der Wand und jemand rief: Ist der Herr Arens hier? Herr Busch rief: Ja, der liegt hier bei mir. Der Vorhang der Kabine öffnete sich und Herr Liesendahl stand plötzlich da. Herr Liesendahl sagte knapp: Wenn du hier fertig bist, kommst du in die Cafeteria, da sind meine Frau und ich. Liesendahls konnten es nicht fassen, was mit mir passiert war. Wir haben uns sehr nett unterhalten und sie haben mir unendlich viel Mut zugesprochen. Als wir uns verabschiedeten, hatten wir alle drei Tränen in den Augen. Das war eine gelungene Überraschung. Ich habe mich sehr über Liesendahls Besuch gefreut.

Die Entwicklung war äußerst zufriedenstellend und mit dem Sprechen funktioniert es immer besser, somit nahmen die Telefongespräche zu. Bei diesen Telefonaten lernte ich einen Mann kennen. Dieser Jemand war scheinbar in meinem näheren Umfeld sehr bekannt. Man erzählte mir, ich kenne da einen... der hat auch einen Schlaganfall... der fährt wieder Auto... und tanzt auf dem Seil. Ich habe mich im Nachhinein gefragt, wer ist dieser ominöse Mann? Und warum kenne ich ihn nicht?

Weitere Fortschritte stehen in den Startlöchern

Mitte Januar war Tanja auf einen Lehrgang in Berchtesgaden und stellvertretend betreute mich Nadine Stein, eine Kollegin von Tanja. Was die Therapeuten betrifft, hatte ich echt Dusel, ich war immer optimal betreut. Besser hätte ich es nicht antreffen können. Während der Therapie, fragte ich Nadine: Wie sieht’s aus, können sie mir nicht so einen Rollator verpassen? Ich könnte vielleicht auf dem Gang zwischendurch mal ein bisschen trainieren. Nadine sagte, kein Problem, ich bringe heute Nachmittag zur Therapie einen Rollator mit. Nachdem Nadine mich therapiert hatte, versuchten wir anschließend, mit dem Rollator zugehen. Bingo, es funktioniert, - ich durfte den Rollator behalten.

Am Spätnachmittag, bevor Dany wieder nach Hause fuhr, bin ich in ihrer Begleitung alleine mit Rollator auf dem Flur gegangen. In der Höhe des Stationszimmers blieb ich stehen und Dany holte den Rollstuhl. Ich wollte schauen, wo sie bleibt. In diesem Moment bekam ich Blei im Arsch und sackte zu Boden und blieb wie eine Schildkröte auf dem Rücken liegen. Aber das aufmerksame Personal der C1 brachte mich schnell wieder in die Senkrechte Position. Dany eilte schnell mit dem Rollstuhl herbei, um mich darin zu platzieren. Auf diesen Schreck bat ich sie, mit mir noch eine Runde zugehen. Ich schnappte mir den Rollator und dackelte noch eine Runde. Das war auch gut so, ich wollte keine Angstgefühle aufbauen.

Am nächsten Tag war ich etwas mutiger. Ich verließ die Station und wagte mich auf den langen Gang im Hauptgebäude. Gehen könnte jetzt mein Hobby werden. Als am Abend die meisten Patienten der Station schon im Bett lagen, habe ich mich noch mal auf die Piste getraut. Am nächsten Morgen hatte ich noch genug Zeit, um vor dem Frühstück noch mal auf die Piste zu gehen. Um diese Zeit war es noch ziemlich ruhig und ich konnte ungestört trainieren. Mein nächstes Ziel war, meine Lieben am Samstag am Eingang mit dem Rollator abzuholen.

Am Freitag bat ich eine Praktikantin der Physiotherapie, mich zum Ergometer Training zu begleiten. Ich wollte feststellen ob ich mit Rollator den langen Weg zum Eingang schaffen würde. Zur Sicherheit nahm sie meinen Rollstuhl mit. Ich schwang mich aufs Ergometer und radelte meine Zeit ab. Anschließend bin ich wieder mit Rollator zurück auf die Station gegangen. Am Abend habe ich mich allein auf den Weg zur Pforte gemacht, um den Weg noch mal zu checken. Alles paletti dachte ich.. Bingo, es funktioniert morgen Mittag hole ich sie am Eingang ab.

Meine nächste Überraschung

Ich war so aufgeregt und bin noch nicht einmal zum Mittagstisch gegangen. Stattdessen habe ich mich in der Cafeteria verschanzt. Mit Blick auf den Eingang, wartete ich bei einem Würstchen und einer Cola. Hoffentlich gelingt meine Überraschung, dachte ich. Als ich unseren Wagen kommen sah, versteckte ich mich hinter einer Palme am Eingang. Ich habe gewartet bis sie auf gleicher Höhe waren und dann habe ich mich in Bewegung gesetzt. Dany drehte sie kurz um und sagte: Nee, was ist das denn? Unsere Gesichter strahlten, - diese Begegnung war der „Abgang pur“, - was waren wir happy.

Dieses Wochenende war durch diesen Fortschritt auf einmal anders, als alle anderen. Schnell wurde die Wäsche ausgetauscht und dann schnell in die Cafeteria. Dort haben wir immer unsere Neuigkeiten ausgetauscht. Ich war etwas aufgeregt, schließlich konnte ich mit dem Rollator gehen und ich wollte unbedingt mit Dany ein paar Runden drehen. Ehrlich gesagt, ich war richtig stolz auf diesen Fortschritt. Es war schon ein Unterschied, ob man mit dem Rollstuhl am Tisch seinen Cappuccino trinkt, oder ob man auf einem normalen Stuhl sitzt und ihn genießt.

Ich drängelte, endlich mal eine Runde zu gehen, schließlich war die Klinik groß genug, um einen ausgedehnten Bummel zu machen. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl, aufrecht neben Dany zu gehen. In diesem Augenblick war ich der glücklichste Mensch, der über diese Erdkugel latschte und meine Motivation stieg enorm.

Eigentlich könnte ich ja mit dem Rollator in den Speisesaal. Doch der letzte Abschnitt zum Speisesaal hatte etwas Gefälle. Mit etwas Bammel bat ich Dany, lass uns mal versuchen, mit dem Rollator in den Speisesaal zu gehen. Vorsichtig bin ich den etwas abfallenden Weg zum Speisesaal runter. Dany passte auf, dass alles gut ging. Prima, geschafft, obwohl ich noch etwas ängstlich war, ging es schon sehr gut. Wir nutzten die Gelegenheit, um ein paar weitere Runden durch die Klinik zu gehen. Ich war gespannt, wie meine Eltern auf diesen neuen Fortschritt reagieren.

Geht doch!

Ich war schon sehr früh wach. Als das Personal mich fertig gemacht hatte, schnappte ich mir den Rollator und drehte noch eine Runde. Bis zum Frühstück, was sonntags später stattfand, hatte ich noch Zeit. Aber mit dem Rollator zum Frühstück zugehen, dazu hatte ich noch zu viel Angst. Ich ging noch mal zurück auf mein Zimmer und setzte mich in den Rollstuhl. Nach einem guten Frühstück, machte ich mich auf den Weg auf mein Zimmer. Ich fuhr mit dem Rollstuhl bis zu dem Aufgang, wo es zur Halle geht, drehte mich um 90° und fuhr rückwärts die Auffahrt hoch.

Häufig kamen Patienten an mir vorbei und boten sich an, mich die Auffahrt hoch zuschieben. Ich lehnte immer dankend ab, schließlich funktionierten meine Arme wieder und ich trainierte somit meine Muskulatur. Kurz bevor ich oben ankam, wurde ich von zwei Damen überholt, die sich gerade über die Reha Klinik Hagen Ambrock unterhielten. Als ich oben ankam, sagte die ältere Dame zu mir: Ihre Motivation kann man ihnen richtig ansehen. Die ältere Dame kannte ich aus der psychologischen Gesprächsgruppe. Ich habe gerade etwas von Hagen Ambrock gehört, sagte ich, da sollte ich zuerst hingekommen sein. Die jüngere Dame, die ich vom Büro und Computertraining kannte, sagte, dass sie schon einmal dort in der Reha war. Es wäre sehr schön, aber hier in Hilchenbach wäre es doch eine große Spur besser.

Während wir uns über Hagen Ambrock unterhielten, verabschiedete sich die ältere Dame. Wir kamen von Hölzchen auf Stöckchen und dann kam das Thema, Computer und Excel. Ich erwähnte, dass ich gerade dabei bin, auf Excel umzusteigen. Da hatte ich ein Gesprächsthema angefangen. Die junge Frau machte den Vorschlag, dass wir uns in der Cafeteria treffen könnten und uns dann über Excel austauschen. Einen Vorteil hat die ganze Computersache, die Zeit wird nicht langweilig, man hat immer was zu tun, man bildet sich weiter und die Zeit vergeht sehr schnell.

Schnell habe ich meine Mittagsmahlzeit in mich hineingeschaufelt, schließlich wollte ich auch meine Eltern mit dem Rollator überraschen. Schnell den Fahrzeugwechsel durchgeführt und ab zum Eingang. Gespannt habe ich auf sie gewartet und war neugierig, wie sie reagieren würden. Es ist unvorstellbar, was solche Fortschritte für eine Freude auslösen.

Ich habe mich selbst überlistet

Wie jeden Sonntag, habe ich sie abends zum Eingang begleitet. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, machte ich mich auf den Weg zum Speisesaal, es war 18 Uhr. Ich dackelte durch die lange Halle und es kamen schon einige Patienten, die sich auch auf den Weg zum Speisesaal machten. Ich reihte mich in die noch kleine Schlange ein, die vor dem Tisch mit Porzellan und dem Brotsorten stand. Ich war auf einmal erschrocken, ich stand mit meinem Rollator in der Menschenschlange, dabei wollte ich doch noch den Rollstuhl getauscht haben. Oh Mann, da habe ich mich in eine neue Situation gebracht. Langsam kam ich zum Porzellan. Das sind ja ganz neue Bedingungen, ich hatte es jetzt wesentlich einfacher. Es war gigantisch, ich habe zum ersten Mal das Buffet aus der normalen, menschlichen Perspektive gesehen. Ich war überwältig und überglücklich zugleich. Es war einfach nur schön und ich war wieder ein Stück näher, Mensch zu werden. Nach dem Abendbrot bin ich am Stationszimmer vorbei und habe ihnen von meinem Erlebnis erzählt. Ich konnte es nicht begreifen, dass sich fremde Menschen so über meine Erfolge freuen können. Tja Herr Arens, kam es aus dem Zimmer, sie sind auf dem besten Weg. Ich konnte es kaum erwarten bis Dany anrief, um ihr das zu erzählen.

…und noch eine Überraschung

Die Fortschritte funktionierten wie am Schnürchen. An diesem Mittwoch kam Philipp mit zu Besuch. Während Dany die Taschen entleerte und die Wäsche austauschte, bat ich Philipp, mich zu begleiten. Bitte, nimm den Rollator und komm mit in die Ergo Abteilung. Ich habe dort meinen Rollstuhl abgestellt, nahm den Rollator und sagte zu Philipp, hier hast du schon mal ein kleines Geburtstagsgeschenk, den Rollstuhl brauche ich nicht mehr, ich kann wieder gehen. Philipp strahlte mich an und sagte: Wow Papa, voll cool.

Der Zeitpunkt rückte immer näher, dass ich bald die Station C1 verlassen müsste. Durch meine Erfolge wuchs mein Punktekonto in meiner Akte. Rainer sagte mir, es fehlen nur noch 4 Punkte und sie können die Station verlassen, dann kommen sie auf die D1, das ist quasi die Station, kurz vor dem Rauswurf. Rauswurf klingt etwas grob, ich will mal sagen, man wird wieder ins normale Leben entlassen. Durch die ständig neuen Fortschritte, durch die ganzen Therapien, verging die Zeit sehr schnell, wir hatten schon wieder Samstag und Dany kam mit den Kindern.

Dany wollte gerade die Sachen auspacken, als Rainer ins Zimmer kam. Herr Arens, macht es ihnen was aus, wenn sie heute schon auf die D1 umziehen? Wir benötigen das Zimmer für einen Neuzugang. Kein Problem sagte ich ihm. So richtig wohl war mir nicht. Ich hatte mich an diese Truppe sehr gewöhnt und ich möchte behaupten, die Chemie zwischen dem Personal der C1 und mir war einfach nur „SUPER“.

Meine Sachen wurden verstaut und die Karawane zog Richtung D1. Die D1 lag genau zwei Stockwerke über der Cafeteria. Dafür war der Weg zum Speisesaal weiter. Im Grunde war es mir egal, schließlich konnte ich wieder gehen. Auf der D1 hatte man mich schon erwartet und man führte mich in meine neue Behausung. Schwester Petra sagte, wir müssen sie erst mal hier in diesem Doppelzimmer unterbringen, sie werden hier alleine auf dem Zimmer sein. Sobald ein Einzelzimmer zur Verfügung steht, geben wir ihnen Bescheid und wir werden ihnen dann beim Umzug helfen. Nicht schlecht das Zimmer, tolle Aussicht, Teppichboden, richtig komfortabel.

Am Montag teilte man mir mit, dass ich in ein Einzelzimmer ziehen könnte und man mir beim Umzug helfen würde. Nachdem Mittagstisch habe ich mich schon mal an den Umzug gemacht. Mit vollbepackten Rollator bin ich in die Einzelhaft umgezogen. Ich musste zwar ein paarmal gehen, aber ich habe den Umzug alleine, ganz alleine geschafft. Auf meiner Landkarte, welche den Weg von uns nach Hanni und Ferdl zeigte, konnte ich wieder einen weiteren Abschnitt markieren, wo ich schon über die Hälfte erreicht habe, - ich war kurz hinter Nürnberg.

Erfolge über Erfolge

In der kommenden Woche ging es rund und ich hatte jede Menge Anwendungen. Das konnte ich richtig spüren und hatte gewaltig Muskelkater. Aber, das war mir egal, ich konnte wieder gehen und das war für mich entscheidend.

Zwischen den Therapien hatte ich einige Pausen, die ich auf meinem Zimmer verbrachte. Während ich eine CD hörte, klopfte es und die Oberarztvisite stürmte in mein Zimmer. Ich wollte die Musik leiser machen, doch Dr. Loevenich meinte, lassen sie, dass stört nicht. Die Gespräche waren schnell beendet, es gab nichts zu beanstanden und man war mit meiner Entwicklung mehr als zufrieden. Die Herrschaften wünschten mir noch einen schönen Tag und verabschiedeten sich. Puh, was war mir das mit der Musik peinlich und dachte, was mögen die über meinen Musikgeschmack wohl denken. Kaum hatte ich den Satz zu Ende gedacht, da ging die Türe wieder auf. Dr. Loevenich steckte seinen Kopf ins Zimmer und sagte, das ist das einige Zimmer in diesem Haus, wo gescheite Musik läuft. Oh dachte ich, noch ein Jazz Freund.

Ich hatte an diesem Tag meine letzte Therapie hinter mir. Auf dem Weg zu meinem Zimmer, musste ich an der Cafeteria vorbei. Birgit, die junge Frau aus dem Büro- und Computertraining saß mit einigen Patienten bei einem Kaffee in der Cafeteria. Ich bin an ihren Tisch und sagte, ich hole mir schnell einen Kaffee, dann setze ich mich zu euch. Als ich mit meinem Kaffee zurück an den Tisch ging, wurde es still, keiner sagte etwas von ihnen und ihre Blicke waren Ernst. Haben die vielleicht gerade über mich getuschelt, ging es durch meinen Kopf. Vielleicht ist es ihnen nicht recht, dass ich mich zu ihnen setzte. Egal dachte ich, schnell den Kaffee trinken und dann verschwinde ich wieder.

Nachdem ich den Kaffee auf den Tisch abgestellt und mich gesetzt hatte, gab es Applaus. Weißt du, was du gerade gemacht hast, kam die Frage. Wieder standen meine drei??? über meine Stirn und ich hatte absolut keinen Schnall. Du hast dir gerade, ohne Rollator, einen Kaffee geholt und diesen ohne Unfall zum Tisch gebracht. Es hat einen Augenblick gedauert, bis ich das gerafft hatte.

Als ich auf dem Zimmer in meinem Sessel saß, spielte ich mit dem Gedanken, ohne Rollator einen Spaziergang zu machen, und zwar, zur C1. Die C1 lag am anderen Ende der Klinik. Mir war es ganz schön mulmig in der Magengegend, - aber ich musste es riskieren. Schließlich hatte ich gerade meine Feuertaufe mit meinem Kaffee hinter mir.

Die ersten Meter funktionierten recht gut, Aufzug rein, eine Etage tiefer, Aufzug raus. Bis jetzt lief es super, aber dann wurde es ernst. Ich murmelte immer vor mich hin, pass bloß auf, bloß nicht ablenken lassen, reiß dich zusammen. Bingo, plötzlich tauchte Marc Baurdoux, Chef der Physioabteilung auf und steuerte auf mich zu. Hallo Herr Arens, ich habe sie gerade beobachtet. Darf ich ihnen einen Tipp geben, wenn sie gehen? Setzen sie die Arme ein, wegen der Balance. Ich kam mir vor, wie bei meiner ersten Fahrstunde, Spiegel, Blinker, Bremse, Kupplung, Gas, rechts vor links und, und, und. Ich war so auf meinen Weg konzentriert und jetzt sollte ich auch noch mit den Armen pendeln. Einen Versuch war es wert, und ich ging weiter, wie Kalle Wirsch von der Augsburger Puppenkiste.

Endlich hatte ich mein Ziel erreicht und wurde mit strahlenden Gesichtern empfangen. Zur Belohnung bekam ich einen Kaffee. Mit meinen Gedanken war ich schon wieder auf den Rückweg, - und diesmal hatte ich Schiss. Aber, ich hatte es mir nicht anmerken lassen und machte mich wieder auf den Rückweg, - Kalle Wirsch, Marsch, Marsch. Die Tour war verflixt anstrengend. Es war aber nicht verwunderlich, es war mein erster längerer Weg, ohne Gehhilfe und konnte mich doch darüber freuen und wieder stolz auf mich sein.

Feierabend, für diese Woche

Es war der letzte Tag in dieser Woche. Ich hatte meine letzte Anwendung hinter mir und habe, bevor ich auf mein Zimmer ging, mit einigen Patienten in der Cafeteria noch einen Cappuccino getrunken. Meine Mitpatienten machten mir den Vorschlag, mich in der nächsten Woche, mit in eine Pizzeria zunehmen. Dort wäre es ebenerdig und man würde auf mich aufpassen. Dort würden öfters einige Gäste mit dem Rollator zu Gast sein. Mir war dieser Vorschlag nicht so ganz geheuer. Vielleicht hatte ich auch zu viel Angst. Mal sehen, sagte ich, vielleicht komme ich auf euer Angebot zurück.

Als ich auf mein Zimmer kam, habe ich die Piano CD eingelegt, mich in meinem Sessel ans Fenster gesetzt und die Sonne beobachtet, wie sie am Horizont hinter der Waldgruppe unterging. Ein fantastischer Anblick. Ich lehnte mich im Sessel zurück und habe meine letzte Woche Revue passieren lassen. Man, dachte ich, wenn sich das so weiter entwickelt, dann komme ich nächsten, spätesten Anfang übernächsten Monat nach Hause. Ich war in diesem Moment über glücklich und wusste es jetzt richtig zu schätzen, was es heißt, sich frei zu bewegen zu können. Die Vorfreude auf zu Hause wurde immer größer. Mal sehen, dachte ich, vielleicht gehe ich demnächst doch mit in die Pizzeria, - schaden kann’s nicht.

Doch es sollte alles anders kommen.

Auch wenn kein Land weit und breit in Sicht ist,
nur nicht aufgeben,
sonst erreicht man das Ufer nie!